
Mit der „Rausch-Brille" auf der Nase bekommen die Schüler einen Eindruck davon,
wieso sie besser nicht betrunken Fahrrad fahren sollten. GB-Foto: Vecsey
Eine Schülerin des Andreae-Gymnasiums schafft es nicht mehr, im Slalom um Verkehrshütchen zu laufen. Sie torkelt vor sich hin, schmeißt Hütchen um. Und auf dem Strich auf dem Boden zu balancieren, klappt erst recht nicht. Am Ende des winzigen Parcours nimmt sie die Rausch-Brille ab. „Wow, das ist ja echt heftig", ruft sie. In ihrem zarten Alter dürfte sie wohl noch nie einen Vollrausch gehabt haben. Die Brille aber simuliert die veränderte Wahrnehmung. „Ich dachte, man sieht damit doppelt, aber es ist alles total verzerrt" Die Schüler lieben diese Station. Für sie ist es Gaudi. Aber es steckt ein ernstes Thema dahinter. Sie sollen befähigt werden, sich sicher und verantwortungsvoll im Straßenverkehr bewegen zu können. Fahrrad fahren zu können, ist nämlich nur die halbe Miete. Im Straßenverkehr kann man mit dem Fortbewegungsmittel, das in Zeiten des Klimawandels immer wichtiger wird, auch einigen falsch machen. Dass man nicht betrunken fahren darf, wussten die Jugendlichen. Es gibt aber auch weniger offensichtliche Aspekte, für die sie sensibilisiert werden sollen. Und über diese staunen sie nicht schlecht am schulübergreifenden Verkehrssicherheits-tag der 8. Klassen von Andreae-Gymnasium und Jerg-Ratgeb-Realschule. Die Vogt-Heß-Gemeinschaftsschule ist normalerweise auch dabei, beim jährlichen Event, hat dieses Mal aber zeitgleich einen Berufsinfomationstag.
"Viele sind überrascht, dass da ja wirklich ein großer Bereich ist, den der Autofahrer gar nicht sieht" Stefan Halanke
Für die Organisation sind die Lehrer Zoltan Borlan (Verkehrsbeauftragter des AGH) und Dominik Kirgis (Verkehrsbeauftragter an der JRS) zuständig. „Es ist ganz schön viel Arbeit, einen solchen Tag vorzubereiten, denn der normale Unterricht muss ja trotzdem laufen", sagt Zoltan Borlan. Dennoch habe man die üblichen Partner, von Fahrschulen bis zur Polizei, auch dieses Jahr für den Projekttag rund um Fahrrad, Bus und E-Scooter gewinnen können. Und auch die Schulsanitäter sind mit im Boot.
„Wir müssen immer wieder sagen: ,Seid still und passt auf!`", sagt die 17-jährige Schulsanitäterin Gina. „Die meisten Klassen sind ganz schön chaotisch." Aber sie und ihre Mitstreiter haben alles im Griff. Sie wissen, wie sie die Aufmerksamkeit gewinnen. „Also, es gab einen Unfall", beschreibt sie das Szenario. „Und hier geht es nicht nur um einen Kratzer. Da spritzt richtig das Blut raus!", betont sie und deutet auf den Arm ihrer Mitsanitäterin, die das Opfer spielt und sich gleich verbinden lassen darf. „Was würdet ihr tun?" Einige Antworten sind sehr treffend: Den Arm hoch lagern, einen Druckverband anlegen. Später dürfen die Jugendlichen in kleinen Gruppen selbst ihr Glück mit Verbänden und Pflasterstreifen versuchen.
Währenddessen weist Peter Würffell vor dem Gebäude seine zweite Schülergruppe ein. Er ist Vorstandsmitglied des ADFC und Radtourenleiter. Mit ihm geht es im Klassenverbund auf Drahteseln als große Gruppe auf eine kleine Tour durch die Stadt. „Wenn man im Verbund fährt, müssen sich alle an Regeln halten, ohne die es gefährlich wird", erklärt er. Das wichtigste Zeichen sei die erhobene Hand. Das bedeutet: Die Kolonne muss anhalten. Damit es auch die Hintersten sehen und nicht auffahren, muss das Signal bis nach hinten weitergegeben werden. Ebenso wichtig: zusammenbleiben. „Eine Gruppe ab 15 Teilnehmern hat Sonderrechte", erklärt er. „Wenn eine grüne Ampelphase auf Rot schaltet, während die Gruppe über die Ampel fährt, dürfen die Letzten auch noch drüber." Aber das funktioniere nur, wenn die Gruppe auch als solche erkennbar sei und sich keine großen Abstände bilden. „Die letzte Klasse war sehr aufmerksam und motiviert", freut er sich. Da ahnt er noch nicht, dass er mit ein paar Kandidaten dieser Gruppe noch Probleme bekommen wird. Ein Schüler stört massiv und macht keine Anstalten, der Regel-Erläuterung zu folgen. Bei allem guten Willen sieht Würffell irgendwann keine andere Möglichkeit mehr, als ihn von der Tour auszuschließen. Die dann auch noch provokative, respektlose Reaktion des Schülers lässt er ungerührt über sich ergehen. Er freut sich lieber über die anderen Jugendlichen, die offensichtlich Spaß an der Tour haben.
Die Polizei macht deutlich schönere Erfahrungen an ihrer Station: „Die Schüler sind interessiert und stellen viele Fragen", freut sich Jens Knobb, Referat Prävention des Polizeipräsidiums Ludwigsburg. „Bei uns geht es um das Thema E-Scooter." Einen haben er und seine Kollegin sogar mitgebracht, damit die Schüler ihn ausprobieren können. Und sie sind begeistert. „Das ist natürlich genau die Zielgruppe", meint Knobbe und lacht. E-Scooter seien gerade absolut im Kommen, der Trend habe sich über die letzten Jahre sehr verstärkt. Umso wichtiger sei, die Schüler zu sensibilisieren. „Gefahren wird auf dem Radweg, oder, wenn es keinen gibt, auf der Straße. Aber der Gehweg ist nicht zulässig", so der Polizist. Außerdem seien die Roller oft nicht versichert, manche dafür aber getunt. Auch da können empfindliche Strafen drohen, von denen die Besitzer vielleicht nichts ahnen, wenn sie sich ein derartiges Gefährt zulegen. „Die Roller zu tunen ist außerdem auch gefährlich. Die werden auch so schon recht schnell und es gibt immer häufiger schwere Unfälle damit." Dem wollen die beiden mit Aktionen wie dieser vorbeugen.
An anderen Stationen wird das richtige Abnehmen des Helms bei Verletzten geübt, Herbert Däuble vom gleichnamigen Busuntemehmen aus Deckenpfronn schult die Jugendlichen im Verhalten im Fall eines Unfalls oder Brands im Bus, und auf dem Hof der Fahrschule Halanke lernen sie etwas über den toten Winkel. Die Schüler dürfen raten, wo der Bereich ist, den der Autofahrer nicht sehen kann und Tennisbälle in diesen legen. Dann testen sie vom Fahrersitz aus, ob sie richtig lagen. „Viele sind überrascht, dass da ja wirklich ein großer Bereich ist, den der Autofahrer gar nicht sieht", erklärt Stefan Halanke. Auch in Herrenberg gebe es einige kritische Stellen. „Beim Kaufland zum Beispiel gibt es einen Zebrastreifen, über den oft Radfahrer fahren, wenn gerade ein Bus darüber abbiegen will." Und der sehe das Fahrrad unter Umständen nicht. Das dürfte zumindest den Schülern nun bewusst sein.
(Artikel erschienen am 11.07.2025 im Gäubote Herrenberg. Wir danken der Redaktion des Gäubote für die freundliche Genehmigung des Nachdrucks. Siehe auch www.gaeubote.de).